Marketing, das aus dem Rahmen fällt
Künstliche Intelligenz, Marketing Automation, Roboterjournalismus … Machen clevere Algorithmen uns Marketer bald überflüssig? Wie denn, wenn sie noch nicht einmal können, was der Alte Fritz schon im 18. Jahrhundert beherrschte? Er war ein Meister des Reframings. Ein Begriff, der seinerzeit noch nicht existierte. Es gab ja noch nicht einmal Kartoffeln hierzulande, bis Friedrich der Große sie aus Südamerika importierte. Seine Untertanen sollten nicht hungern müssen, wenn die Getreideernte schlecht ausfiel. Doch das exotische Gewächs war ihnen suspekt. Was der Bauer nicht kennt … Sie wissen schon.
Also was tun? Anzeigen schalten im Wolfenbütteler »Aviso« und in den anderen noch jungen Zeitungen des Landes? Troubadoure vor den Höfen der Landwirte Minne singen lassen, um die Kartoffelliebe zu entfachen? Der Preußenkönig hatte eine andere Strategie. Er brachte die Pflanze auf eigenen Äckern aus und ließ sie bewachen. Mit dem inszenierten Rahmen musste es klappen: Wer an den Feldern vorbeikam, musste den Eindruck gewinnen, bei den Knollen handle es sich um Gold- statt Stärkeklumpen. Zumindest um etwas Wertvolles, das nicht Befremden, sondern Begierde weckt. Bingo!
Die Kartoffel als Must-have des aufgeklärten Absolutismus – und Psychologie als Schlüssel zum Erfolg. Technologie ist ihr nicht von vornherein überlegen. Als es Mitte des 20. Jahrhunderts in den Wolkenkratzern Manhattans regelmäßig zu Warteschlangen vor den Fahrstühlen kam, hätte man sicher schnellere oder zusätzliche Aufzüge installieren können. Die Gebäudemanager aber entschlossen sich, wie der Alte Fritz auf Reframing zu setzen – und ließen neben den Fahrstuhltüren Spiegel anbringen. Der Wartebereich bekam einen neuen Rahmen. Plötzlich erschien die Zeit, bis der Lift kam, nicht mehr als vergeudet. Männer nutzten sie, um ihre Krawatte zu richten. Frauen checkten ihr Make-up. Niemand beschwerte sich mehr.
Hätten Algorithmen dieselbe Lösung nahegelegt? Durch lange Wartezeiten hatte sich auch die Londoner U-Bahn den Missmut ihrer Kunden eingefahren. Mithilfe von Big Data wurden in der Folge die Anzahl und die Taktung der eingesetzten Züge optimiert. Deutlich zufriedener waren die Fahrgäste dennoch nicht. Das änderte sich erst, nachdem auf den Bahnsteigen Displays installiert wurden mit der Zeit bis zum nächsten Zug. Denn nicht die Wartezeit an sich empfanden die Kunden als schlimm, sondern die Ungewissheit, wie lange sie dauert. Algorithmen können eben nur schwer einschätzen, was Kunden wirklich wichtig ist. Gutes, auf die wahren Bedürfnisse der Menschen ausgerichtetes Marketing schon. Customer Centricity sticht Data Centricity.
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