»Kriegen wir auch so einen uniquen Sound wie die ›Barbara‹ hin?«, »Vom Look and Feel her wäre ja ›Brand eins‹ nicht schlecht.« … Content-Marketing-Agenturen, die auch Kundenmagazine anbieten, kennen Sätze wie diese. Aber sind Bücher nicht die zeitgemäßeren Vorbilder als Publikumszeitschriften?

»Domino Day« war am 6. August 1991 – am Geburtstag des Internets. Noch herrschte strenge Ordnung. Hörfunk, Fernsehen, Zeitschriften … Jedes Medium hatte seinen Platz, wähnte sich gut aufgestellt. Doch plötzlich sollte kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Spätestens nachdem 1994 mit »Spiegel Online« und dem »Time Magazine« die ersten publizistischen Angebote online gingen, war die Kettenreaktion nicht mehr zu stoppen. Geschäftsmodelle kippten. Rollenbilder gerieten ins Wanken. Welches Medium erfüllt in Zukunft welche Funktion? Tageszeitungen haben schnell erkannt, dass sie sich angesichts der digitalen Konkurrenz nicht mehr länger nur auf die Vermittlung von News kaprizieren konnten. Also wilderten sie im Terrain der Zeitschriften, entdeckten mehr und mehr bunte Meldungen für sich, den Ratgeberjournalismus und Beilagen rund um Lifestyle, Mode und Gesundheit. Und wie reagierten die Zeitschriften? Lange gar nicht.

Des »Spiegel« neue Kleider

Es dauerte Jahre, bis die fallenden Steine des Medienwandels deren Verlagshäuser erreichten. Die Reaktionen? Heute würde man wohl sagen: unvorstellbar eindimensional. Große Pläne, um sich gegen die neue Konkurrenz zu wappen, wurden jedenfalls nicht geschmiedet. Tief im Herzen blieb man derselbe wie immer. Sich für einen modernen äußeren Anschein das ein oder andere neue Kleidungsstück überzuziehen musste reichen. So war es beispielhaft 1997 beim Umstyling des »Spiegel«. Statt in gediegenem Schwarzweiß kam er fortan innen wie außen mit Farbe und mit so schön bunten Bildern wie das Internet daher.

Monstranzen des Corporate Publishings

Hat sich das Kleidchen-wechsle-dich-Spiel gelohnt? Die »Spiegel«-Mitarbeiter jammerten. Die Kosten für den farbigen Druck schmälerten ihre Gewinnbeteiligung. Es wuchsen nur die Ausgaben, nicht aber die Verkaufs- und Anzeigenerlöse. Immerhin: Trotz Internet und sich wandelnder Tageszeitungen blieb das Ansehen der Zeitschriften hoch, selbst bei Unternehmen. War man als Agentur damals und in den Folgejahren gefragt, ein Kundenmagazin zu entwickeln, waren Publikumstitel die Benchmark. Rewes »Laviva« sollte die bessere »Freundin« sein. Für »Gold« von Netto durfte je noch ein Schuss »Bunte« und »In Touch« dazukommen. TÜV SÜD wiederum entdeckte für sein »Journal« »Brand eins« als Monstranz des Corporate Publishings in den Kioskregalen.

Doch die Monstranzen verlieren an Glanz. Die Mitarbeiter in den Redaktionen, die sie polieren könnten, werden weniger. Denn die Auflagen fallen. Die Stücke vom Anzeigenkuchen werden nicht größer. Und die Innovationskraft der Verlage? Die wurde und wird viel zu häufig ins Adaptieren von Erfolgsrezepten wie »Landlust« investiert. Taugen Zeitschriften also überhaupt noch als Vorbilder für kreatives Content-Marketing?

Die Zukunft der Zeitschrift

Die Antwort lautet: Ja, jetzt wieder. Denn endlich nimmt die Domino-Kaskade weiter ihren Lauf. Nach wie vor verbreitet das Internet Nachrichten, die einst Zeitungen füllten. Noch immer weidet sich die Tagespresse inhaltlich und gestalterisch an Zeitschriften. Und was machen nun die Magazine? Konsequenterweise einen auf Buch.

»Der letzte Sommer. Ein Wochenende am See. Vier Freunde gehen zelten. Nur einer kehrt zurück« … Sätze, die sich lesen wie der Klappentext eines Krimis. Dabei sind es die Titelzeilen von »Crime«, einer Line-Extension des »Stern«. Das Magazin über wahre Verbrechen startete 2015 als Testballon. Inzwischen erscheint es sechsmal jährlich. Als verkaufte Auflage nennt Gruner + Jahr 80.000 Exemplare pro Ausgabe – ein Mordserfolg. Kein Wunder, dass bald auch andere Verlage auf den Plan traten: Funke mit »die Aktuelle Krimi«, Bauer mit »Closer Crime« …

Was funktioniert, wird kopiert. Nach diesem Motto ließ und lässt sich die Zeitschriftenbranche nicht nur vom Krimigenre inspirieren. Der Hamburger Journalist und Medienberater Oliver Wurm machte die Bibel, das meistverkaufte Buch überhaupt, zum Magazin. Das Grundgesetz brachte er als Zeitschrift heraus. Und der aktuell wohl größte Trend: die eigene Weltsicht veröffentlichen, Autobiografien in Zeitschriftenform. Die US-amerikanische Talkmasterin und Schauspielerin Oprah Winfrey und der Verlag Hearst haben diesen Trend im Jahr 2000 begründet. Seither erscheint »O, The Oprah Magazine«, der monatliche Ersatz beziehungsweise Vorgeschmack auf ihre Memoiren »Was ich vom Leben gelernt habe«, die in den USA 2014 auf den Markt kamen.

Ein boomendes Bookazine-Genre

Überraschend lange hat es gedauert, bis das Erfolgsrezept in Deutschland Nachahmer fand. 2015 erschien »Barbara«. »Kein normales Frauenmagazin«, so der Untertitel: Monat für Monat ziert TV-Star und Namensgeberin Barbara Schöneberger das Cover. Das macht Oprah schließlich auch. Und ebenfalls ganz nach »O«-Art kann man im Innenteil Gedanken lesen – die der Titelheldin. Ein Konzept, das aber auch mit einem Mann auf Seite eins aufzugehen scheint. Moderator Joko Winterscheidt bekam ein eigenes Magazin, Fußballer Jérôme Boateng, Mediziner Eckart von Hirschhausen, Modedesigner Guido Maria Kretschmer, Sänger Max Giesinger, Förster Peter Wohlleben …

Totgesagte leben länger

Aber taugen Bücher auch als Blaupause für Unternehmenskommunikation? The Female Company jedenfalls schrieb mit ihrem »Tampon Book« ein Lehrstück über Marketing. Auf geniale Art machte es nicht nur auf die Firma und ihre Produkte aufmerksam, sondern zuvorderst auf einen Missstand: In Deutschland wird für Tampons der Luxusgüter-Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent berechnet. Kaviar, Trüffel und Ölgemälde werden dagegen lediglich mit 7 Prozent besteuert – ebenso wie Bücher. Deswegen verschickte der Hersteller seine Bio-Tampons kurzzeitig zwischen Buchdeckeln und mit entsprechendem Storytelling rund um Ungerechtigkeit und Menstruation.

Geschichten erzählen macht schließlich das Wesen eines Buches aus – und das von Content-Marketing. Es ist wie in dem Band mit dem Märchen von der schönen Scheherazade: Ihr Vater, der Wesir, gibt sie dem König zum Weib. Wie kann er nur! Die letzten Frauen des Herrschers überlebten nicht mal einen Tag. Jede einzelne ließ er am Morgen nach der Hochzeitsnacht töten, aus Furcht, sie könnte ihn betrügen. Nun ist Scheherazade an der Reihe. Doch im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen weiß sie ihre Hochzeitsnacht zu nutzen. Bis in den Morgen erzählt sie dem König eine Geschichte – aber nicht zu Ende. So lässt er – neugierig auf den Ausgang – Scheherazade am Leben. Und schon beginnt sie mit der nächsten Story. So geht das 1001 Nacht lang. Bis schließlich jeder Zweifel an Scheherazades Treue verfliegt. Seither verbringen König und Königin die Tage glücklich und zufrieden Seite an Seite. Manche Totgesagte leben eben länger. Wie das Vorbild Buch.

Zuerst erschienen im Papyrus »Y-Kompendium Content Publishing«

Foto: Aaung Soe Min/unsplash.com



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