Schwächen eingestehen lohnt sich. Mit dieser Marketingstrategie feierte Volkswagen bereits in den Sechzigerjahren Erfolge. Sie nennt sich Insane Honesty, an Irrsinn grenzende Aufrichtigkeit, und sie zahlt sich auch für B2B-Unternehmen aus. Gerade heute.

 

Jetzt ist es als unumstößliche Wahrheit anzusehen! Die Max-Planck-Gesellschaft hat 565 Studien zur Psychologie der Unehrlichkeit unter die Lupe genommen und auf einen Nenner gebracht. Das Ergebnis: 42 Prozent aller Männer und 38 Prozent aller Frauen lügen, wenn es darum geht, sich einen eigenen Vorteil verschaffen zu können. Und mal ehrlich, wir Marketer sind doch auch nur Menschen. Haben wir nicht auch schon mal Dinge zum Wohl unseres Unternehmens beschönigt? Oder zumindest unter den Tisch fallen lassen, was ja streng genommen nicht mal gelogen gewesen wäre?

 

Keine gute Kommunikationsstrategie, sagt Doug Kessler. Stattdessen propagiert der B2B-Marketingprofi der Londoner Agentur Velocity Partners den Weg der Insane Honesty. Als Unternehmen so ehrlich zu sein, dass es anderen fast schon als Irrsinn erscheint, zahle sich viel mehr aus. Eines seiner Lieblingsbeispiele: der Durchbruch des VW Käfer in den USA. Bereits in den 1950er-Jahren bot ihn Volkswagen auf dem dortigen Markt an – doch ohne nennenswerten Erfolg. US-Autos waren zu dieser Zeit groß, kantig, benzinfressende Kraftprotze. Der Käfer dagegen war klein, rund, ein dicklicher Schwächling. Einzig sein Preis war stattlich. Und dennoch sollte er bald zum Liebling der Nation werden. Dank Ehrlichkeit.

 

Ohne Schwächen keine richtigen Stärken

Darauf setzte die Werbekampagne, die in den Sechzigerjahren folgte. Carl Hahn, der damalige US-Chef von Volkswagen, gab sie bei der noch nahezu unbekannten Agentur Doyle Dane Bernbach (DDB) in Auftrag. Das zentrale Werbemotiv war in großen Lettern überschrieben mit »It’s ugly, but it gets you there«. Ja, der Käfer ist hässlich, aber er bringt dich ans Ziel. Auf diesen Punkt fokussierten die Folgemotive und erklärten den großen Vorteil des Kleinen: Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten würde er dank Luft- statt Wasserkühlung nie heiß laufen und deswegen auch nicht liegenbleiben. Das überzeugte. Denn sind Schwächen einmal eingestanden, wiegen sie weit weniger – die Stärken dagegen im Vergleich umso mehr.

 

 

Eine Logik, derer sich daraufhin weitere B2C-Unternhemen erfolgreich bedienten. Avis zum Beispiel sagte ganz offen: »Wir sind nicht die Nummer eins im Markt. Da kann man es sich nicht leisten, nicht freundlich zu seinen Kunden zu sein.« Oder die Hyposwiss Privatbank – sie gab zu: »We like our clients because of their money« – nicht ohne zu erwähnen: »They like us because of our honesty.« Entsprechend ehrlich warb sie weiter, unter anderem mit dem Spruch »If you want to double the money in your account, please put twice as much in it«.

 

Ehrlichkeit siebt Kunden aus. Und das ist gut so …

Aber kann die Strategie der Insane Honesty auch im B2B-Marketing aufgehen? Wir sagen Ja. Auch wenn der gängige Ansatz der Customer Centricity zum Gegenteil verleitet. Es stellt den Kunden mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt, die es bestmöglich zu erfüllen gilt. Da lässt man schnell auch das eigene Produkt und die eigene Dienstleistung in strahlendem, bestem Licht erscheinen. Und wird so zum Blender. Während man gerade im B2B-Business vielmehr Partner sein will, dem an Glaubwürdigkeit und einer langfristigen Geschäftsbeziehung gelegen ist.

 

Nehmen wir als Beispiel zwei Cloud-Service-Provider, Cloudy A und Cloudy B. Der eine legt glaubwürdig dar, dass seine Technologie einzigartig sicher ist, und gibt zu, dass in Sachen Design und Benutzerfreundlichkeit noch Luft nach oben ist. Der andere verweist auf sein preisgekröntes User Interface und auf die branchenüblichen Sicherheitsstandards, die auch seine Lösung erfüllt. Bei welchem Anbieter würden Sie die sensiblen Daten Ihres Unternehmens eher speichern?

 

Kommt darauf an, sagen Sie jetzt vermutlich. Kunden, deren höchstes Bedürfnis Sicherheit ist, werden Cloudy A wählen. Kunden, denen Usability wichtiger ist, Cloudy B. Aber gerade für Cloudy A geht die Strategie der Insane Honesty auf. Denn Leads, denen vor allem an Nutzerfreundlichkeit gelegen ist, würden bei diesem Unternehmen ohnehin als No-Sales enden – oder noch schlimmer, hätte es seine diesbezügliche Schwäche verschwiegen: als Bad Sales, als unzufriedene Käufer, die reklamieren und ihrem Unmut allerorten Ausdruck verleihen.

 

So bietet Insane Honesty für B2B-Unternehmen, deren Angebot nicht in allen Kategorien die Nummer 1 am Markt ist, also für nahezu jedes, unverrückbare Vorteile:

Vorteil Nummer 1: Erwähnt man nicht nur die Highlights, sondern auch die Lowlights des eigenen Angebots, rücken dessen tatsächliche Stärken in den Vordergrund – und locken so die passenden Kunden an. Auf alle anderen muss man sich gar nicht erst weiter konzentrieren. Das spart Ressourcen und manchmal auch Ärger.

Vorteil Nummer 2: Kritikern möglicher Schwächen wird der Wind aus den Segeln genommen. Umso wichtiger, da heute nicht nur Unternehmen transparenter geworden sind, sondern durch Social Media, Foren, Bewertungsportale & Co. auch die Kundenerfahrungen.

Vorteil Nummer 3, der am stärksten wiegt: Die eigene Marke gewinnt an Sympathie und Glaubwürdigkeit – der höchste Erfolg im Marketing. Denn Insane Honesty ist genau das, was viele Kampagnen oft nur sein wollen: charmant selbstkritisch, mutig offen und allein schon durch seine Ehrlichkeit überraschend.

 

Fotos: VW, unsplash.com



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